Montag, 23. Januar 2017

Das neue Jahr


Das neue Jahr hat nach Meinung vieler mit der größtmöglichen Katastrophe begonnen, die schlechthin vorstellbar ist - mit der Wahl des frauenverachtenden, populistischen Großunternehmers Donald J. Trump. Was er vorhat, was er wirklich tun wird, steht in den Sternen. Es ist auch angesichts seiner Spontaneität - ständig den Finger am Twitter - vulgo seiner Unberechenbarkeit schwer vorherzusagen. Also wird munter spekuliert und dramatisiert, wie gestern bei Anne Will und auf hunderttausend anderen Kanälen. Derweil dreht sich die Welt munter weiter.

In der Türkei vollzieht sich die "radikalste Reform der türkischen Demokratie seit mehr als 60 Jahren", wie die Neue Zürcher schreibt. Syrien ist nach wie vor von einem Frieden weit entfernt. Russland veranstaltet mit Japan gemeinsame Manöver, und die Ukraine weiß nicht, wie es mit Russland, mit dem Minsker Abkommen, und allen voran, mit den Vereinigten Staaten weiter gehen soll. Kurz gesagt: die schwierige, um nicht zu sagen, beängstigende Erblast, die die Ära Obama der Welt hinterlassen hat, wäre Grund genug, weder die zuendegegangene Präsidentschaft zu glorifizieren, noch die neue zu dramatisieren. Daß das nicht geschieht, sagt viel über den Zustand unseres öffentlichen Diskurses aus.

Donnerstag, 21. Januar 2016

Das neue Dekret


Ist das noch wohlverstandene Reform oder schon Revolution? Papst Franziskus hatte ja schon Aufmerksamkeit, Staunen und Begeisterung ausgelöst, als er nicht länger nur Männern am Gründonnerstag die Füße wusch, sondern Arme, Alte, von der Gesellschaft an den Rand gedrängte Menschen auswählte. Diese soziale Umdeutung der Fußwaschung ist nun in ein Dekret gegossen worden, das man etwas despektierlich mit der Überschrift versehen könnte: "Fußwaschung jetzt für alle". Am 6. Januar dieses Jahres war dieses Dekret der Gottesdienst-kongregation bereits ergangen, publiziert wurde es am 21. Januar. Die Vorschrift, nach der nur zwölf Männern in der Liturgie vom Gründonnerstag die Füße gewaschen werden, wird damit abgeschafft. Bekanntlich symbolisieren die zwölf Männer die zwölf Apostel im Abendmahlssaal, die Jesus Christus am Gründonnerstag zu Priestern geweiht hat, und die "Messe vom Letzten Abendmahl" ist bekanntlich die Erinnerung an die Einsetzung des Priestertums und der heiligen Messe. Ab sofort gilt: Die Geistlichen sollen künftig dafür eine kleine Gruppe von Gläubigen wählen, die die Vielfalt und Einheit von jedem Teil des Volkes Gottes darstellt. Diese Gruppe kann aus Männern und Frauen, Jung und Alt, Gesunden und Kranken, Priestern, Ordensleuten und Laien bestehen.

Man konnte das Dekret rein positivistisch als einen pragmatischen Akt, als Ausdruck der Regierungsstärke des neuen Papstes sehen, die sich deutlich von der zögerlichen Art seines Vorgängers absetzt. Traditionstreue Katholiken wünschen sich im nachhinein, daß Benedikt XVI. kraft seines Amtes als höchster Gesetzgeber der Kirche per Dekret etwa das Indult für die Handkommunion abgeschafft und die Reform der Reform in anderen Bereichen tatkräftig durchgesetzt hätte. Benedikt wäre als Gesetzgeber allzu vorsichtig gewesen. Und er hätte gemäß der Tradition gehandelt, die das neue Dekret großzügig und pragmatisch über den Haufen stößt. Denn Apostolinnen waren nach Auffassung der Tradition nicht im Abendmahlssaal. Auch wollte Christus nach der Überlieferung der Kirche keine Frauen zu Priestern weihen. Die Gerüchteküche kocht erneut, ob das nur ein weiterer spontanter Einfall des argentinischen Papstes ist, wie wir ihn immer wieder erleben, oder ob er Weiterreichendes präjudiziert. Die Dekretierung ist der Feind des Spontanen.

Donnerstag, 20. März 2014

Lewitscharoff und der offene Diskurs


Papst Benedikt XVI. sprach von einer Diktatur des Relativismus. Er hatte recht, auch und gerade in seiner Wortwahl. Anfragen an die Moderne werden nicht mehr mit Erklärungen erwidert, sondern mit Verdammungsurteilen. Wer früher die Kirche als die große Verdammerin verurteilt hatte, müßte sich den Übeltäter heute dort suchen, wo man einst ganz natürlich den Hüter der Freiheit erwartet hatte. Das ist das Paradox der ungezügelten Vernunft, die der letzte Papst kritisiert hatte, und dafür schärfste Widerworte erhalten hatte, die tief blicken ließen.

Genauso wie die Widerworte, die sich die Literatin Sybille Lewitscharoff in den letzten Tagen gefallen lassen mußte. Oft genug hatte man den starken Verdacht, daß der Kritiker oder die Kritikerin überhaupt nicht gelesen hat, was die mit Preisen überhäufte Literatin in ihrer Rede wirklich gesagt hat. Sprachlos machen auch die Forderungen aus dem Munde der Freiheitsfreunde, Lewitscharoff aus dem Kreis derer zu verbannen, die sich noch literarisch äußern dürfen. Man weigert sich zu lesen, man will nicht verstehen, man erteilt Bannflüche, auf der Grundlage einiger aus dem Zusammenhang gerissener Sätze. Wenn das nicht die Kapitulation freiheitlicher Kultur ist, wenn das nicht die Indizien einer sich verfestigenden Meinungsdiktatur sind, dann fragt man sich, was dazu noch fehlt.

Die Schrifstellerin und Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff, die bisher mit einer Reihe großartiger Romane hervorgetreten war, hatte in Dresden ihre Kritik an der Reproduktionsmedizin gäußert. Die Rede war über weite Strecken eindeutig literarisch angelegt. Doch die veröffentlichte Meinung nahm ihre Metaphern wörtlich, biß sich daran fest, um das eigentliche Anliegen der Literatin nicht erwähnen zu müssen. Sie verdammte das seelenlose Geschäft, der das Wohl und Wehe der daraus hervorgehenden Kinder egal ist, von Kindern, die ihre Väter niemals sehen werden. Gegen diese fürchterlich reaktionäre Auffassung, daß Kinder ihre Eltern kennen sollten, daß sie nicht Produkt des Machbarkeistwahns sind, das empfindet die Moderne als Affront. Und sie tut es mit Ignoranz, mit bewußtem Nicht-Verstehen-Wollen. Lewitscharoff verwarf die Onanie, nicht weil sie aus irgendwelchen katholisch-reaktionären Motiven dagegen wäre, sondern sie findet sie widerlich, wenn sie Teil dieses Machens ohne Seele ist.

Der SZ-Redakteur Benedikt Sarreiter fragte dennoch naiv, es stelle sich die Frage, „warum sie hier den Begriff Onanie wählt, es hätte ja auch einfach künstliche Befruchtung sein können. Wahrscheinlich um den Ekel vor den „Machinationen“ noch zu steigern. Denn der wahre, der gute, vitale, gottgefällige Sex kann nicht der mit sich allein sein, sondern nur der zwischen Mann und Frau.“ Die Onanie ist nicht nur Teil der Reproduktionsmedizin, sie ist Teil des umfassenderen modernen Projekts der Selbstbestimmung, der Auflösung jeder Ordnung. Das Individuum und sein Wille zur Lust steht über allem. Norman Mailer, der vom „guten Kampf“ spricht, Kant und Rousseau, die die Onanie als Verirrung und Verbrechen verwerfen, erkannten noch, daß die Onanie Egoismus ist, und in extremis zum Zerfall der Persönlichkeit wie der Gesellschaft führen kann, wie wir es heute im Zeitalter der überall greifbaren Pornographie wie im Labor beobachten können.

Es ging Lewitscharoff nicht um das alte Verbot, Samen zu verschwenden, wie Sarreiter unterstellt, sondern um das egoistische, anarchische Moment der Onanie, was sie in der Forderung zuspitzte, sie zu verbieten. Auch die als skandalös empfundene Beschreibung des aus technischer Produktion entstandenen Lebens erscheint nur skandalös, wenn man jeden Sinn für literarische Stilmittel und erst recht den Gesamtzusammenhang ausblendet. Dieses produzierte Leben ist für Lewitscharoff „weniger wert“, wie der SZ-Autor unterstellt, nicht an sich, sondern weil unsere Zeit das Leben zu einem Produkt gemacht hat und vergessen zu haben scheint, was eine hohe Kultur ausmacht - daß das Leben Frucht der Liebe sein soll.

(Bild: Thüringische Landeszeitung)

Dienstag, 11. März 2014

Suche nach einem Nachfolger


Die deutsche Bischofskonferenz sucht nach einem neuen Vorsitzenden, und die Ohrenflüsterer und lauten Dauer-Rufer nach einem "Reformer" bringen sich schon mal in Stellung. Auffällig sind die Halbwahrheiten, bisweilen auch offenen Verdrehungen, die bewußt den Druck erhöhen sollen, am Mittwoch einen Nachfolger zu wählen, der dem Reformflügel, den Kirchenbewegten von unten behagt. Das Hamburger Nachrichtenmagazin behauptet, den frischen Wind der Reformen von Papst Franziskus würde der deutsche Klerus nicht selten als "unangenehm steife Brise" empfinden. Der deutsche Klerus als verschanzter konservativer Block, der sich gegen das reformistische Rom wehrt!

Da seit Jahren eher die umgekehrte Lage gilt, hat, wer solche Bilder zeichnet, ganz anderes im Sinn. Das beweisen die Forderungen, die folgen: ein die Armut beschwörender Radikalreformer in Rom stünde, so das Magazin, gegen eine prachtverliebte, an rückständigen Sexualnormen hängende deutsche Kirche. Zuletzt haben die deutschen Bischöfe eher relativiert als bekräftigt, wenn es um die Unverbrüchlichkeit der Ehe oder andere heiße Eisen der katholischen Moral ging. Und der Papst hat ebenso wie die deutschen Bischöfe und in absoluter Übereinstimmung mit dem Katechismus, den Kardinal Ratzinger maßgeblich redigierte, gelehrt, daß Homosexuelle nicht diskriminiert werden dürfen. Dennoch schreiben die Hamburger, Felix Genn als Gastgeber der Frühjahrskonferenz der Bischofskonferenz würde sich in Sachen Homosexualität wie Papst Franziskus "immerhin gegen Diskriminierung" aussprechen! So als würden sich die anderen dafür aussprechen!

Der Papst hat bisher an der überlieferten Lehre zu den ewig gleichen Lieblingsthemen der deutschen Zeitgeist-Journaille kein Jota geändert, auch wenn seine nebeligen Äußerungen falsche Interpretationen geradezu herausforderten. Sie sind das Einfallstor für diese durchschaubare Strategie, ein angeblich reformistisches Rom gegen ein neuerdings konservativ-mauerndes Deutschland auszuspielen. Beides sind bewußt konstruierte Chimären.

Der scheidende Kölner Erzbischof, Kardinal Meisner, hat vollkommen recht, wenn er sagt, die Kirche brauche keinen "genialen Typen" an der Spitze, sondern einen, der "den Laden in Ordnung hält". Eben keinen, wie es aus Hamburg heißt, der den leisetreterischen, angepassten Moderator spielt, sondern eine Person mit klarem katholischen Profil. Zollitsch war das eben nicht. Er scheute klare Stellungnahmen. Nach seinen Äußerungen war man hinterher genauso klug wie vorher. Die deutsche katholische Kirche braucht wieder jemanden, der die Position der Kirche klar kommuniziert, nicht die "Positionen der Katholiken", wie es der ZdK-Vorsitzende Glück formulierte. Die individualisierte Diskussion, das ewige Dialogisieren, das Bemühen, es jedem recht zu machen, auch den Kirchenfernen in Hamburger Redaktionsstuben, fördert viel stärker die Kirchenspaltung als die angebliche Vertrauenskrise, die von den Kirchenkritikern aufgebläht wird, um auch vom Versagen der säkularen Gesellschaft abzulenken. Und erst recht nicht das "Duckmäusertum", das Joseph Ratzinger als Chef der Glaubenskongregtion und Papst gefördert hätte, wie Christian Weisner von "Wir sind Kirche" behauptet. Benedikt XVI. war es, der unermüdlich vor einer an die kurzfristigen Moden der Zeit angepassten Kirche warnte, der den Relativismus unserer Zeit scharf kritisierte. Die deutsche Kirche braucht dringend jemanden, der den "Laden ordnet", aber ganz sicher nicht so, wie man sich das in Hamburg und anderswo vorstellt!

Sonntag, 6. Oktober 2013

Wir feiern uns selbst!


Wenn es um die Kritik am modernen, angeblich zeitgemäßen Gottesdienst geht, wie oft ist da zu hören, Übertreibungen kämen selten vor, sie seien die Ausnahme, eigentlich hielte sich doch jeder an die Regeln. Wie weit diese Regeln aber schon gedehnt, ja überdehnt sind, konnte ich heute im Abendgottesdienst in St. Georg feststellen. Dort fand um sieben Uhr der Begrüßungsgottesdienst des neuen Pfarrers statt. Die Kirche war voll, auch der Altarraum fasste die vielen Ministranten kaum. Diese gingen zwar bei der Wandlung alle in die Knie. Als sie aber von der Kommunion zurückkamen, kniete sich keiner mehr hin. Keiner hielt eine kurze Andacht, wie das normalerweise der Fall sein sollte, wenn man gerade den Leib des Herrn empfangen hat. Vielmehr hatten sie diesen noch sichtbar in der Backe, als sie schon wieder mit ihrem Nachbarn bzw. ihrer Nachbarin im Ministrantengewand zu scherzen begannen, fröhliche Blicke austauschten. Von Andacht, Innehalten, In-Sich-Gehen keine Spur.

Der Pfarrgemeinderat, die Kirchenverwaltung, alles was in der Pfarrei mitredet, hatte sich im Altarraum an das Mikrofon gestellt und dem neuen Pfarrer die Treue gelobt, auch aktive Unterstützung, wenn es um die Seelsorge und die Weitergabe des Glaubens geht. Diese Weitergabe findet am deutlichsten, wie man aus dem Schreiben des Kardinal-Erzbischofs von München und Freising erfuhr, in der Feier der Mysterien, in der Eucharistie statt. Darin sollte sich der Mensch zurücknehmen, denn in ihr geschieht etwas, was ihn weit übersteigt. Es ist nichts was er selbst schaffen könnte, wie das Tagesevangelium überdeutlich aussagte. Und was geschah? Von Sich-Zurücknehmen, In-sich-gehen, von-der-eigenen-Wichtigkeit-Abstand-nehmen keine Spur, vielmehr setzte sich das politische Freising und das ökumenische Freising lauthals und wichtig in Szene. In einem Versammlungssaal, etwa des Pfarrheims darf sich jeder verbreiten, Ansprachen und Referate halten. Der Altarraum ist der Ort des Heiligen, der Anbetung und der Feier des Mysteriums, kein Ort für allgemeine, weltliche Ansprachen über die Bedeutung der "Kirchen" im Alltag Freisings. Und erst recht kein Ort für die Beschwörung der Ökumene von seiten einer Pastorin, deren religiöse Gemeinschaft an das, was dort nach katholischem Glauben geschieht, nicht glaubt.

Die Kritik wird von der Wirklichkeit längst in den Schatten gestellt, wenn so der Unterschied zwischen dem Heiligen und dem Profanen flagrant mißachtet wird. Der Applaus zu jeder profanen Ansprache tat ein Übriges, das zu bestätigen.

Sonntag, 17. März 2013

Hermeneutik der Kontinuität



In den Medien, in allfälligen Umfragen heißt es ja oft und gerne, wenn es um die Kirche geht, Reformen täten not. Sie seien das auf und ab, das um und ab, und wer anderes sagt, ist von vorvorgestern. Benedikt XVI. mußte mit diesem Dauervorwurf leben, weil er nicht Küng, Glück oder Lammert folgen wollte, sondern den Heiligen, die inneren Wandel, die Konversion zu Gott als wahre Reform betrachten. Alles andere ist äußerliches, oberflächliches Politikergedöns, das mit dem Wesen des Katholischen soviel zu tun hat wie Lammerts Ökumene-jetzt-Aufruf. Was der Kirche wirklich not tut ist eine Abkehr von den ewig gleichen Reformredereien und eine Konzentration auf das Kerngeschäft, die Ausrichtung auf das Ewige. Der neue Papst wäre bestens beraten, hier anzusetzen und weiterzumachen. Den Reformenthusiasten passt das freilich ganz und gar nicht. Sie würden Benedikt am liebsten zu Hausarrest verdonnern, damit er sich nur ja nicht in die ersehnte Radikalreform des jesuitischen Minderbruders einmischen kann. So hören sich auf alle Fälle gewisse Wortmeldungen an, und auch gewisse Gesten Papst Franziskus' kann man durchaus als Distanzierung vom Vorgänger lesen.

In seinem ersten Angelus nannte er nicht Johannes Paul II., als er von Gottes Barmherzigkeit sprach - was näher gelegen hätte als Kardinal Kasper zu zitieren. Das deutsche Hölderlin-Zitat - obwohl Franziskus nicht mit Vielsprachigkeit zu glänzen versuchte - kann wohl als Wink mit dem Zaunpfahl nach Castel Gandolfo gedeutet werden: das Alter sei ruhig und fromm. Das mag er auf sich bezogen haben, es kann aber auch sein, daß er sich schlicht Einmischung jeder Art verbittet. Msgr. Marini, der verdienstvolle Zeremonienmeister Benedikts XVI. bekam das bereits zu spüren. Als er dem Papst die rotsamtene Mozzetta umlegen wollte, erhielt er eine barsche Abfuhr: "Die können Sie selber anziehen!"

Das mag man als Äußerlichkeiten abtun. Es wirft aber ein Licht auf einen Papst, der seinen ganz eigenen Kopf zu haben scheint, nicht nur in Fragen päpstlicher Mode. Angebliches Wissen, das sich als reine Spekulation entpuppt, ist mir verdächtig. Aber der alte Befreiungstheologe Leonardo Boff scheint auch aus Erfahrung zu sprechen, wenn er in einem Interview mit dem morgen erscheinenden Hamburger Nachrichtenmagazin meint, der neue Papst sei liberaler als mancher meine. Er mag in mancher Hinsicht konservativ erscheinen, so Boff, wenn es um Kontrazeptiva, Zölibat und Homosexualität geht, was er als Kardinal nur tat, weil Rom Druck auf ihn ausübte. Als Papst müsse er darauf keine Rücksicht mehr nehmen.

Boff weiter: "Vor einigen Monaten begrüßte er ausdrücklich, daß ein gleichgeschlechtliches Paar ein Kind adoptiert. Er hat Kontakt zu Priestern, die von der Amtskirche entlassen worden waren, weil sie geheiratet hatten. Und, am wichtigsten, er ließ sich seine Überzeugung nicht nehmen, daß wir auf der Seite der Armen sein müssen."

Ob das mit der Kontinuität wirklich eine so gute Idee war?

Der unbekannte Papst



Ganz ehrlich: ich kann diejenigen, die, kaum war der neue Heilige Vater gekürt, schon wußten, was sie von ihm zu halten haben, nur bewundern. Er nahm den Bus, als er Kardinal war, und nimmt ihn noch, da er Papst ist. Er wäscht den Armen die Füßen und erklärt die Kirche zur Kirche der Armen, und nennt sich obendrein Franziskus, und schon jubeln Prantl von der Süddeutschen und Missionskreise landauf, landab, daß dieses Pontifikat ein Pontifikat der radikalen Christusnachfolge in Armut sein werde. Der Spiegel-Redakteur Matthias Matussek, der gestern noch absoluter Benedikt-Fan war - und es freilich immer noch ist -, auch er weiß jetzt schon, daß der Neue den deutschen Stuhlkreis-Katholiken das Fürchten lehren werde, weil er in seiner ersten Ansprache Leon Bloy zitiert hatte: wer nicht Gott anbete, bete den Teufel an. Mag sich Papst Franziskus auch gegenüber gleichgeschlechtlich Orientierten nicht eben freundlich geäußert haben, die Empörung darüber müsse man aber als Linkskatholik gegenüber der viel wichtigeren Sorge für die Armen zurückstellen. Bescheidenheit, Armutsbekenntnis und doch konservativ - eine Mischung, die einfach begeistern müsse.

Das ist jedoch alles nur Spekulation. Sichtbar ist bisher nur sein nonchalanter Umgang mit der Presse, die liturgisch und ästhetisch zweifelhaften Breitbandbatik-Messgewänder, und eine gewisse Volksnähe. Das sei alles soviel wohltuender als das reaktionäre pomp and circumstance des Vorgängers aus Marktl am Inn. Franziskus kann ein ebenso "reaktionärer" Papst werden, freilich (siehe Leon Bloy!), es kann aber auch das Jesuitische in ihm durchbrechen, das seit dem Konzil nicht eben durch dogmatische Festigkeit aufgefallen ist. Wäre die Kirche eine Kirche der Armen, wie der Neue behauptet, hätten die recht, die das Christentum für Sozialismus mit Heiligenschein halten. Wir sind alle arm vor Gott. Der Arme ist nicht per se gut, weil er arm ist, und der Reiche nicht schlecht, weil er reich ist. Auch ist ein Papst nicht notwendigerweise ein besserer und bescheidenerer Papst, wenn er auf Samtmozetta, Ferula und rote Schuhe verzichtet. Der Verzicht Pauls VI. auf die Tiara ist bekanntlich als Demutsgeste bejubelt worden, obwohl sie das genaue Gegenteil war. Die dreifache Papstkrone ist nicht Zeichen meiner Herrschaft als Papst, sondern Zeichen der Herrschaft Christi. Genausowenig sind alle wohlfeil als Prunk und Protz verunglimpften Insignien päpstlicher Gewalt Zeichen der Macht eines einzelnen Papstes. Wer immer noch meint, er könne auch als Papst sein Junggesellen-Dasein aus der Studentenbude in Buenos Aires weiterpflegen, hat die Aura des überpersönlichen, ganz und gar antisubjektiven Papsttums nicht begriffen.

Gestern haben sich die Kritiker Benedikts noch darüber gefreut, daß er aus Bescheidenheit und Einsicht in seine körperliche Hinfälligkeit zurücktritt. Morgen werden sie den busfahrenden Papst zum Gleichen unter Gleichen gemacht haben, was er als hinfälliger Mensch ist, als Papst nicht. Papst Franziskus kann ein großartiger Papst werden, was aber eben niemand wissen kann. Er kann auch das offenbaren, was sein Vorgänger gerade zurückdrängen wollte: die Übermacht des Persönlichen über das Amt, im Guten wie im Schlechten. Der polnische Papst hat einerseits die Massen durch seine direkte Art, sein Kommunkationstalent begeistert, er hat aber auch das Liturgische und Dogmatische schleifen lassen, weil es ihm nicht so wichtig erschien. Franziskus könnte, ich betone, könnte wieder so ein Charismatiker mit gewissen konservativen Versatzstücken werden. Es könnte aber auch ganz anders kommen. Hoffen wir das beste!