Mittwoch, 27. Juni 2012

Zölibat - Der Schatz im Acker

Das Standardthema der Kirchenreformer und -kritiker ist bekanntlich neben dem Frauenpriestertum der Zölibat, die Ehelosigkeit der Priester. Man kann es ihnen eigentlich nicht mehr verdenken. Ihre Kritik ist durchaus nachvollziehbar, wenn man den Hintergrund, die allgemein, selbst unter Katholiken verbreitete Sicht der Kirche mitdenkt. Sie wird nicht mehr als "Heilsanstalt", als Stiftung Christi wahrgenommen, die uns den Weg in den Himmel ebnen soll, sondern vielmehr als Sozialverein, der uns Lebenshilfe leistet, mit einer gewissen spirituellen Grundierung. Hinweise auf Sünde, auf die Unauflöslichkeit der Ehe, die der unauflöslichen Bindung Christi an seine Kirche entspricht, die grundsätzliche Distanz zu den weltlichen Dingen, weil das Jenseits viel wichtiger ist, erscheinen vor diesem Sozialvereins-Hintergrund klarerweise veraltet, mittelalterlich, ja buchstäblich aus einer anderen Welt. Warum soll ein Priester noch ehelos leben, wenn er sowieso nur eine Art spiritueller Gemeindevorsteher ist? Warum ein "Gesetz" einhalten, das sich irgendein Papst aus rein weltlichen Gründen einstens ausgedacht hat? Daß dem ganz und gar nicht so ist, legte der Pastoraltheologe Prof. Dr. Wollbold von der LMU München am Dienstagabend in der Freisinger Diözesanbibliothek ausführlich und in dankenswerter Klarheit dar. Jenes vielzitierte "Zölibatsgesetz" wäre tatsächlich ein Oktroi, wenn es nicht in der Lehre des Herrn und der Praxis der Urgemeinde wurzeln würde. Die Jünger ließen alles zurück, was nichts anderes bedeutete als den Verzicht auf das, was nach dem Verständnis der Zeit Leben lebenswert machte. Nicht anders als heute war dieser Verzicht auf Besitz und eheliches Leben "um des Himmelreiches willen" eine wahrhaft himmelschreiende Provokation, vor allem wenn man die Diesseitigkeit der römischen (und unserer) Gesellschaft bedenkt. Christus forderte seine Jünger zur konsequenten Nachfolge auf. Er fragte sie nicht im Stil heutiger pastoraler Aufrufe: Könntet ihr euch vorstellen... Der Preis, um dessentwillen die Jünger dieses Opfer auf sich nahmen, war und ist das ewige Leben, das Zeichen, daß man sich nicht im Hier und Jetzt durch Haus und Familie verewigen muß, da es etwas Größeres gibt, was über das Hier und Jetzt hinausweist. Verliert sich dieses Bewußtsein, dieser feste Glaube in einem diesseitigen Wohlfühlchristentum, das vor allem aus wohlfeiler Globalisierungskritik und ökologischen Appellen besteht, verliert auch der Zölibat seinen Urgrund. Er lebt aus dem Wunsch, Christus in allem gleich zu werden, um des Himmelreiches willen, mag auch die Zeit und die Gesellschaft ganz anders denken. Die aus der Reformation hervorgegangenen Gemeinschaften taten das, was die Zeit dachte, und wurden zwangsläufig mitgezogen. Das protestantische Pfarrhaus war ein Spiegelbild der Zeit wie es die Zeitgeistigkeiten des aktuellen deutschen Protestantismus sind. Die katholische Kirche blieb davon lange Zeit verschont, weil ihr Klerus sich ganz und gar der Nachfolge widmen konnte, am Altar, in der Spendung der Sakramente, in der Seelsorge, und so spannte sich die Kirche um den gesamten Globus, weil ihr Klerus nicht orts- und familiengebunden war. Das ließ die Kirche auch angesichts fataler Ausschläge des Zeitgeistes wie in den 1930er und 40er Jahren besser widerstehen als der gesellschaftlich angepasste Protestantismus. Der Zölibat als Instrument gegen die allzeit dräuende Verweltlichung, vor der nicht zuletzt der Papst in seiner Freiburger Rede eindringlich gewarnt hat. Wollbold nannte den Zölibat einen "Seismographen" für den Zustand der Kirche. Wenn der Glaube fest ist, wenn die Gläubigen die Sakramente nicht als Dienstleistung betrachten, sondern als himmlischen Segen, für den sie ein Opfer bringen sollen, dann sehen sie auch im Priester nicht den Dienstleister, den Vorsteher, sondern den Stellvertreter Christi am Altar. Wenn das alles stimmt, dann braucht sich die Kirche auch um den Priesternachwuchs keine Sorgen zu machen. Wenn die Verweltlichung aber überhand nimmt, darf man sich über aggressive Kritik am Zölibat selbst aus katholischen Reihen nicht wundern. Ist ja doch die Forderung, Priester sollten heiraten dürfen, angesichts unserer laisser-faire-Unkultur schon wieder antiquiert. Warum sollte er heiraten dürfen? Er sollte die Partner wechseln dürfen wie wir alle auch. Mit der Treue, zu der uns Christus aufrief, die in der Treue Christi zu seiner Kirche ihr Spiegelbild hat, hat das freilich nichts mehr zu tun, noch weniger mit dem Glauben an die Ewigkeit, mit der uns der Herr für unsere Treue und die seiner Priester belohnen wird. Wollbold wies auf die Türme des Freisinger Domes hin, die zum Himmel weisen: "Die Kirche wird den Zölibat nicht aufgeben, solange sie an den Himmel glaubt."